Geschichte

Vom Kalten Krieg zur hybriden Bedrohung

Einleitung

Die Geschichte des Staatlichen Nachrichtendienstes (Service de renseignement de l‘État, SRE) beginnt 1960. Seitdem hat sich der Nachrichtendienst weiterentwickelt, parallel zu den Veränderungen auf internationaler und nationaler Ebene. Seine Aufgabenbereiche, seine Funktionsweise, seine Mittel und Ressourcen sowie die Kontrollmechanismen wurden an die Bedrohung, die technischen Entwicklungen und den gesetzlichen Rahmen angepasst. Um seine Aufgaben Prävention und Schutz der Sicherheit von Staat und Bürgern zu erfüllen, muss sich der SRE heute einer diffuseren, vielseitigeren, schwerer erkennbar und sich ständig wandelnden Bedrohung stellen. 

1960: Die Ursprünge

1960 wird die Weltordnung vom „Gleichgewicht des Schreckens“ geprägt. Basierend auf etwa vergleichbaren militärischen Kapazitäten standen sich die militärischen Blocks des Ostens und des Westens gegenüber, zusammengeschlossen einerseits im Warschauer Pakt und andererseits in dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis (NATO).

Seine NATO-Mitgliedschaft führte Luxemburg dazu, am 30. Juli 1960, mitten im Kalten Krieg, einen regelrechten Nachrichtendienst einzurichten. Im Wesentlichen ging es darum, auf luxemburgischen Boden die Interessen der äußeren Sicherheit des Staates zu schützen. Zu jener Zeit bestehen die Aufgaben des Nachrichtendienstes darin, zu prüfen, ob Personen, die Zugang zu sensiblen Informationen haben, vertrauenswürdig sind und sie gemäß den Kriterien der NATO zu akkreditieren. Daneben geht es darum, eventuelle ausländische Spione, die im Großherzogtum tätig sind, zu enttarnen, und mit den Geheimdiensten der anderen Länder des Atlantischen Bündnisses in Kontakt zu bleiben.

Der neu gegründete Dienst wendete die gleichen nachrichtendienstlichen Mittel an, die damals auch in anderen verbündeten Ländern zum Einsatz kamen. Er erlangte seine Informationen über Beschattung, Telefonüberwachung und mit Hilfe externer Informanten. Mehrere ausländische Spione, die insbesondere für Ostblock-Länder arbeiteten, wurden so in dieser Zeit in Luxemburg enttarnt. 

Stay behind: Ein streng geheimes Netzwerk

Seit den Anfängen des Nachrichtendienstes war eine Spezialeinheit damit beauftragt, die Aktivitäten der luxemburgischen Organisation des Stay-behind-Netzwerkes zu überwachen. Damals existierten in allen Ländern Westeuropas lokale Organisationen, wobei jedes Land selbst den Handlungsrahmen der Mitglieder des besagten Netzwerkes festlegte. Der luxemburgische Ableger bestand aus einem Dutzend nicht miteinander verbundener Zivilisten, die im Falle einer Invasion im Großherzogtum durch Truppen des Warschauer Paktes im Land bleiben und vom überfallenen Staatsgebiet aus Informationen an die alliierten Kräfte hätten weitergeben müssen. Im Falle einer Invasion wären die Aufgaben dieser Agenten also die Informationsbeschaffung sowie die Ein- und Ausschleusung von Personen gewesen. Zu diesem Zweck wurden sie vom Nachrichtendienst in der Handhabung von Geräten zur verschlüsselten Telekommunikation, gewissen Techniken der Informationsbeschaffung sowie der Ein- und Ausschleusung von Personen ins bzw. aus dem besetzten Gebiet ausgebildet. (Siehe auch die Broschüre "Der Kalte Krieg in Luxemburg" vom Nationalmuseum für Geschichte und Kunst -  ISBN 978-2-87985-389-5.) 

Dieses Netzwerk gibt es seit 1989 nicht mehr. Im Rahmen einer neuen Entwicklung in der immer noch nicht aufgeklärten sogenannten Bommeleeër-Affäre und den zwanzig Bombenattentaten zwischen 1984 und 1986 auf insbesondere öffentliche Einrichtungen tauchte das Netzwerk allerdings wieder auf.

Am 27. Februar 2008 wendet sich der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker mit einem Schreiben an Charles Goerens, den Vorsitzenden der parlamentarischen Kontrollkommission für den staatlichen Nachrichtendienst, in welchem er die Mitglieder der Kommission daran erinnert, dass sie in Anwendung von Artikel 15 (3) des Gesetzes vom 15. Juni 2004 über die Organisation des staatlichen Nachrichtendienstes Kontrollen zu bestimmten Themen vornehmen können. Laut Jean-Claude Juncker erscheint es sinnvoll, dass sich die Kontrollkommission folgenden Fragen in Verbindung mit den Tätigkeiten des Nachrichtendienstes widmet:

  • der Verwaltung des Stay-behind-Netzwerkes durch den Nachrichtendienst, von den Anfängen des Netzwerks bis zu seiner Auflösung;
  • der Affäre der Sprengstoffattentate der Jahre 1985 und 1986 und der Rolle, die der Nachrichtendienst im Rahmen der Ermittlung zu den Bombenlegern spielte;
  • dem Wahrheitsgehalt der Behauptungen über eventuelle Verbindungen zwischen den beiden Dossiers.

Die Arbeiten und Ergebnisse der Kommission im Anschluss an dieses Schreiben mündeten in einem Bericht, für den die SRE-Archive vollständig geöffnet wurden. Die Kommission hörte auch die Zeugenaussagen des vormaligen Premierministers Jacques Santer, des Staatsanwaltes Robert Biever, des Direktors des Staatlichen Nachrichtendienstes Marco Mille und seines Vorgängers Charles Hoffmann sowie der in den 80er Jahren für das Stay-behind-Netzwerk zuständigen Mitglieder.

Nach Abschluss ihrer Arbeit kam die parlamentarische Kontrollkommission in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass "kein Anzeichen einer Verbindung irgendeiner Art zwischen der Reihe von Bombenattentaten, die zwischen 1984 und 1986 in Luxemburg verübt wurden, und den Tätigkeiten des Stay-behind-Netzwerkes vermuten lässt. (...)"

1982: Stärker kontrollierte Überwachung

Das Gesetz vom 26. November 1982 ergänzt die Strafprozessordnung um die Artikel 88-1 bis 88-4, welche den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung und Kontrolle aller Kommunikationsformen, ob Briefverkehr, Telefonkommunikation oder andere, reglementieren. Der Einsatz dieser besonderen Mittel zur Informationsbeschaffung durch den Nachrichtendienst wird somit ab sofort durch ein vom Gesetz festgelegtes Verfahren vorgegeben.

2004: Die erste große Reform des Nachrichtendienstes

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts veränderte sich der geopolitische Kontext. Die Beziehungen der USA und ihrer westlichen Verbündeten zur Russischen Föderation, die auf die ehemalige Sowjetunion folgte, entspannten sich nach dem Fall der Berliner Mauer erheblich. Während die Bedrohung im Kalten Krieg von den Staatenblöcken ausging, sind die Bedrohungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts viel diffuser.

Insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA, hält die Bedrohung des islamistischen Terrors die Welt in Atem. Die Politik möchte den Nachrichtendienst in den präventiven Kampf gegen Terroranschläge, die möglicherweise im Staatsgebiet verübt werden könnten, einbinden und das Entstehen eines "modernen, an die Anforderungen unserer Zeit angepassten und mit ausländischen und verbündeten Geheimdiensten kompatiblen Nachrichtendienstes" fördern.

Das Gesetz vom 15. Juni 2004 setzte sich zum Ziel:

  • die Aufgaben des Nachrichtendienstes zu modernisieren und an die Entwicklung der Bedrohungen anzupassen;
  • die Mittel, über die der Nachrichtendienst verfügen soll, sein Personal sowie seinen Zugang zu Informationen besser zu definieren;
  • im Gesetz einige Arbeitsmethoden zu erläutern, ohne aber dem geheimen Charakter der Aufgaben des Nachrichtendienstes zu schaden;
  • eine parlamentarische Kontrolle der Tätigkeiten des Nachrichtendienstes einzuführen, welche die bereits bestehenden Kontrollen ergänzt.

Mit diesem Gesetz ergreift die Regierung also die Initiative, den Nachrichtendienst gründlich zu reformieren und insbesondere seine personellen Ressourcen zu stärken. 

Das Gesetz vom 5. Juli 2016: Deontologie, Ressourcen und Kontrolle

Im November 2012 enthüllt die Presse die Existenz einer illegalen Aufzeichnung eines seiner Gespräche mit Premierminister Jean-Claude Juncker durch den damaligen Direktor des Nachrichtendienstes. Die Abgeordnetenkammer reagiert durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit dem Auftrag, "die operativen Arbeitsmethoden des Nachrichtendienstes seit seiner Gründung zu untersuchen, ihre Legalität in Hinblick auf die zum Zeitpunkt der ihrer Anwendung jeweils geltenden Gesetzgebung zu prüfen, der Abgeordnetenkammer Bericht zu erstatten und daraus gemäß Absatz 2 von Artikel 189 des Reglements der Abgeordnetenkammer so schnell wie möglich die Konsequenzen zu ziehen." Am 31. Januar 2013 erweitert die Kammer den ursprünglichen Auftrag des Untersuchungsausschusses "durch eine Ausweitung auf die Aufgaben, die Organisation und die Funktionsweisen des Nachrichtendienstes.“ Die Ergebnisse und Empfehlungen dieses Untersuchungsausschusses sind in einem am 5. Juli 2013 veröffentlichen Bericht festgehalten. Dieser Bericht schreibt klar vor, dass "es zwingend notwendig wird, eine Reform des SREL-Gesetzes durchzuführen“.

Zur selben Zeit wurde das Ausmaß der im Kalten Krieg durch den Nachrichtendienst praktizierten Überwachung umfassend in der Öffentlichkeit diskutiert, und zahlreiche Bürger wollten wissen, ob der Nachrichtendienst zu ihrer Person eine Akte angelegt hatte, und forderten Zugang zu dieser. Zwischen Dezember 2012 und August 2018 wurden mehr als 700 Zugangsanfragen an die durch Artikel 17 des Gesetzes vom 2. August 2002 über den Schutz von Personen hinsichtlich der Verarbeitung persönlicher Daten eingerichtete Kontrollbehörde gerichtet. Um die Tragweite der historischen Archive des Nachrichtendienstes zu erfassen, empfahl der parlamentarische Untersuchungsausschuss, diese Analyse einer Gruppe von Experten anzuvertrauen. Nach einer Ausschreibung im Jahr 2016, die auf Basis des Artikel 3 des Gesetzes vom 23. Juli 2016 über einen speziellen Statut von spezifischen  personenbezogener Daten die durch den SRE verarbeitet werden beruht, wurde ein Team aus zwei Forschern mit der Aufgabe der wissenschaftlichen Auswertung dieser Daten betraut.

Im Text des Regierungsprogramms von Ende 2013 war explizit vorgesehen, dass "die gesetzlichen Aufgaben des SREL neu definiert werden, um die Ergebnisse aus dem Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Staatlichen Nachrichtendienst, die am 10. Juli 2013 in der Abgeordnetenkammer diskutiert wurden, umzusetzen. Jede Art der Überwachung mit politischem Bezug wird untersagt. Es wird ein klarer gesetzlicher Rahmen für den Einsatz der operativen Mittel des Nachrichtendienstes gesetzt.“

Das Ziel war also, den neuen Nachrichtendienst mit einer angemesseneren gesetzlichen Grundlage und mit Ressourcen, die sowohl den aktuellen und zukünftigen operativen Ansprüchen als auch den vom Rechtsstaat festgelegten demokratischen und rechtlichen Anforderungen gerecht werden auszustatten.

Der Gesetzestext vom 5. Juli 2016 beruht in großen Teilen auf den Empfehlungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dieser Text richtet einen nationalen Nachrichtendienst ein, der über einen klaren gesetzlichen Rahmen sowie geeignete Kontrollmechanismen und -verfahren verfügt. (Weitere Informationen zu den verschiedenen Kontrollebenen des SRE finden Sie im Abschnitt "Nachrichtendienst: Eine umfassend kontrollierte Aufgabe"). So sind die Methoden der Informationsbeschaffung genau definiert. Sie unterliegen strengen Bedingungen und klaren Kriterien. Sie müssen die Grundsätze der Legitimität, der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität einhalten. (Für ausführliche Informationen zu diesen Grundsätzen siehe Kapitel "Der SRE")

Leitende Direktoren des Nachrichtendienstes

Jean-Pierre Brasseur 1. Direktor des Nachrichtendienstes mit Inkrafttreten des Gesetzes vom 30. Juli 1960
Roger Hoffmann
9. März 1962 bis 17. März 1978
Eugène Schockmel
August 1978 bis 30. April 1985
Charles Hoffmann
26. April 1985 bis 1. Oktober 2003
Marco Mille
17. Dezember 2003 bis 28. Februar 2010
Patrick Heck
1. März 2010 bis 31. Dezember 2015
Doris Woltz
seit 1. Januar 2016. (siehe Lebenslauf)

 

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