Interview von Doris Woltz im Luxemburger Wort

Vom Geheimniskrämer zum Dienstleister: Die SER-Direktorin Doris Woltz zum neuen Rahmengesetz und zu den neuen Herausforderungen für den Geheimdienst

Interview: Luxemburger Wort (Dani Schumacher)

 

Luxemburger Wort: Nachrichtendienste sind nach wie vor eher eine Männerdomäne. Wie kommen Sie als Frau an der Spitze des "Service de renseignement" zurecht, zumal Sie Quereinsteigerin sind und folglich keinen "Stallgeruch" haben?

Doris Woltz: Viele Menschen sind in der Tat der Meinung, dass Nachrichtendienste eine reine Männerdomäne darstellen. In Wirklichkeit ist dem aber nicht so. Sicher, in den Chefetagen sitzen nach wie vor fast nur Männer, auf allen anderen Ebenen arbeiten aber auch viele Frauen. Dass ich als Quereinsteigerin zum Geheimdienst gestoßen bin, hat den Vorteil, dass ich nicht vorbelastet war. Ich musste mir die Welt des Geheimdienstes erst erschließen und ich habe dabei sehr viel hinzugelernt. Das war übrigens die Herausforderung, die mich motiviert hat, für den Posten zu kandidieren.

Luxemburger Wort: Und wie lernt man den Beruf des Geheimdienstlers, es gibt ja keine konkrete Berufsausbildung?

Doris Woltz: Indem man einfach ins kalte Wasser springt. Angesichts der weltweiten Entwicklung der letzten Monate hatte ich nicht viel Zeit, um mich langsam auf meine neue Aufgabe vorzubereiten. Seit ich im Januar meinen Posten angetreten habe, gab es kaum ruhige Momente, um mich einzulesen. Auch nicht in den Sommerferien.

Luxemburger Wort: Und wie gefällt Ihnen Ihr neuer Job?

Doris Woltz: Gut. Ich bin inzwischen angekommen. Ich habe mich mittlerweile von der Justiz abgenabelt. Ich hatte gedacht, die Eingewöhnungsphase würde länger dauern. Die Arbeitsweise beim Geheimdienst ist nämlich eine völlig andere. Ich versuche allerdings, einige Methoden, die sich im Justizwesen bewährt haben, zu übernehmen.

Luxemburger Wort: Im Verlauf der Parlamentsdebatten hat Eugène Berger als Berichterstatter betont, dass wir einen Geheimdienst brauchen, dem man wieder vertrauen kann. Können wir dem Nachrichtendienst unser Vertrauen schenken, jetzt, wo das neue Gesetz in Kraft tritt?

Doris Woltz: Der "Service de renseignement" verändert sich nicht von heute auf morgen, nur weil am 1. Oktober ein neues Rahmengesetz in Kraft tritt. Sicher, die Srel-Affäre hat den Dienst schwer erschüttert. Doch der Bericht der Untersuchungskommission liegt nun schon drei Jahre zurück. Und die zurückbehaltenen Fehlverhalten liegen mehr als fünf Jahre zurück. Außerdem hat der SRE nicht den Bericht der Untersuchungskommission abgewartet, um Neuerungen einzuführen. Was ich damit sagen will, ist, dass sich in dieser Zeit vieles verändert hat. Mein Vorgänger hat in den letzten drei Jahren viel bewegt, er hat Prozeduren eingeführt, die sich nun in dem neuen Gesetz wiederfinden. Das Gesetz bietet den Mitarbeitern endlich einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen. Der Dienst steht heute nicht mehr in der Kritik. Doch wir brauchen Zeit. Die ganz große Mehrheit der Mitarbeiter hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen, trotzdem stehen sie unter Kollektivverdacht. Ich glaube, dass der SRE in den vergangenen Monaten wieder Vertrauen gutmachen konnte und dies nicht zuletzt durch den Einsatz meines Vorgängers. Ich setze alles daran, damit die Institutionen, die mit uns zusammenarbeiten, Vertrauen in uns setzen können.

Luxemburger Wort: Sind Sie eigentlich zufrieden mit der Reform? Oder anders gefragt, was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie Ihr eigenes Basisgesetz hätten schreiben können?

Doris Woltz: Ich will nicht vorgreifen. Wie gesagt, es braucht eine gewisse Zeit, bis das Gesetz voll zum Tragen kommt. Ich gehe davon aus, dass wir uns nach einem Jahr ein erstes Bild darüber machen können, ob sich die Maßnahmen und die damit verbundenen Genehmigungsprozeduren in der Praxis bewährt haben. Dann werden wir sehen, ob es Schwachstellen gibt und wo sie sind, bzw. wo man eventuell nachbessern muss. Ich bin überzeugt, dass die Maßnahmen juristisch so verfasst sind, dass wir gut damit arbeiten können.

Luxemburger Wort: Die Kontrollmechanismen wurden deutlich ausgeweitet. Die gesetzliche Basis für einen Nachrichtendienst muss aber immer das Gleichgewicht zwischen Kontrolle einerseits und effizienten Arbeitsmöglichkeiten andererseits wahren. Ist diese Balance in dem Gesetz gewährleistet?

Doris Woltz: Das Gesetz sieht Kontrollen auf verschiedenen Ebenen vor. Es gibt Kontrollen im Vorfeld, etwa durch die Regierung und durch die Richter, die die Erlaubnis für die einzelnen Maßnahmen erteilen müssen. Dann gibt es die Geheimdienstkontrollkommission, die im Nachhinein aktiv wird. Die Zusammenarbeit mit dem parlamentarischen Ausschuss klappt sehr gut. Die unterschiedlichen Kontrollmechanismen sind meines Erachtens sehr gut. Ob und wie sie greifen, hängt allerdings von den einzelnen Personen ab, die sie durchführen. Jedes Gesetz ist in seiner Anwendung nur so gut, wie die Menschen, die es im Alltag umsetzen. Alle Beteiligten müssen also dafür sorgen, dass das neue Geheimdienstgesetz den Anforderungen gerecht wird, die Verantwortung liegt nicht ausschließlich beim Nachrichtendienst.

Luxemburger Wort: Der Geheimdienst fällt weiterhin unter den Zuständigkeitsbereich des Premierministers. Neu ist allerdings die Einbindung des Ministers für die innere Sicherheit und des Justizministers. Wie sehen Sie die Erweiterung der Verantwortung?

Doris Woltz: Wie bisher zeichnet der Premierminister auch in Zukunft für den Geheimdienst verantwortlich. Die Einführung des dreiköpfigen Teams erscheint mir sinnvoll, weil dadurch andere Ansichten und andere Meinungen eingebracht werden. Zudem sind der Minister für die Innere Sicherheit und der Justizminister von der Fachkompetenz und vom Verständnis der Sachlage her sehr nahe am Thema. Zudem muss der Premierminister nicht mehr allein entscheiden, vielmehr werden die Entscheidungen als Regierung getroffen. Dieser Maßnahme wurde in den vergangenen Monaten übrigens bereits vorgegriffen, die Zusammenarbeit klappt sehr gut.

Luxemburger Wort:  Das Gesetz geht explizit auf die Terrorgefahr ein. Verlangt dies eine andere Arbeitsweise?

Doris Woltz: Die Abwehr der Terrorgefahr ist in der Tat völlig anders gelagert als die klassische Spionage. Die Terrorgefahr verändert sich konstant. Deshalb müssen wir uns ständig an die neuen Gegebenheiten anpassen. In diesem Bereich ist die Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen, etwa der Polizei und der Staatsanwaltschaft, noch viel wichtiger. Dieses Zusammenspiel, so wie dies im Gesetz vorgesehen ist, muss zur Routine, zum Normalfall werden. Wir müssen in der Lage sein, die Gefahrenlage rechtzeitig zu erkennen und weiterzuleiten.

Luxemburger Wort:  Glauben Sie, dass sich das Bild, das sich die Bevölkerung vom Geheimdienst macht, zum Positiven verändern wird, wenn sich der Dienst im Bereich der Terrorabwehr bewährt?

Doris Woltz: Das kann ich nicht einschätzen. Schließlich können wir keine Eigenwerbung betreiben und unsere Erfolge ins Schaufenster stellen. Wir müssen unsere Arbeit insgesamt stärker auf die Gerichtsbarkeit ausrichten, so wie dies bereits in vielen Ländern der Fall ist. Was ich damit sagen will, ist, dass wir unsere Fälle so aufbereiten müssen, dass die Erkenntnisse vor Gericht verwendet werden können und auch juristisch Bestand haben, etwa als Verdachtsmoment oder im besten Fall als Beweismittel. In meinen Augen ist dies eine unserer wichtigsten Baustellen. Der Nachrichtendienst muss zu einer Art Dienstleister für die anderen Institutionen werden. Übrigens fragen heute schon viele Verwaltungen Stellungnahmen bei uns an, etwa zum Thema Terrorvorbeugung.

Luxemburger Wort:  Inwiefern hat sich die Terrorgefahr in Luxemburg verändert?

Doris Woltz: Ich will keine Ängste schüren. Die Gefahrenlage verändert sich zusehends, sie wird zunehmend komplexer und vielschichtiger. Die Gefahrenlage ist weniger greifbar. Das bedeutet, dass auch die Mittel, die wir einsetzen müssen, komplexer und feiner werden müssen. Mittlerweile ist nicht mehr ausschließlich der Geheimdienst gefragt. Bei der Abwehr der Terrorgefahr muss die Gesellschaft in die Vorbeugung investieren, etwa indem wir im Bildungsbereich ansetzen. Wir dürfen die Terrorgefahr nicht unterschätzen. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.

Luxemburger Wort: Nach den Attentaten in Frankreich wurde immer wieder beanstandet, dass die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Nachrichtendiensten bzw. zwischen den Diensten und der Polizei nicht richtig geklappt hat. Wurden mittlerweile Lehren aus diesen Missständen gezogen?

Doris Woltz: Ich finde, die Aussage, dass die Anschläge nicht verhindert werden konnten, nur weil die Zusammenarbeit nicht geklappt hätte, greift einfach zu kurz. In den vergangenen Monaten hat sich allerdings viel getan. Erste Ansätze zu einer effizienteren Zusammenarbeit waren unter dem luxemburgischen Ratsvorsitz eingeleitet worden und dann unter dem niederländischen Vorsitz mit einer operationellen Plattform dieses Jahr umgesetzt worden. Die Maßnahmen greifen. Der Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten klappt gut. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Diensten und den anderen Institutionen wie etwa der Polizei hat sich seither intensiviert.

Luxemburger Wort: Während der Srel-Krise wurde immer wieder die Sorge laut, im Ausland könnte die Reputation des luxemburgischen Nachrichtendienstes wegen der Vorkommnisse leiden. War diese Angst begründet?

Doris Woltz:  Wir werden sehr wohl ernst genommen. Der luxemburgische Dienst ist zwar klein, doch wir können überall auf Augenhöhe mitreden. Es gibt kein Misstrauen. Mein Vorgänger hat hervorragende Arbeit geleistet, um das Vertrauensverhältnis auf internationaler Ebene auszubauen.

Luxemburger Wort: Und wie sieht es intern aus? Ist wieder Ruhe eingekehrt?

Doris Woltz: Die Situation hat sich entspannt, es ist aber noch keine vollständige Ruhe eingekehrt. So lange die anhängigen Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen sind, stellen sich die Mitarbeiter natürlich weiterhin viele Fragen. Es bleibt ein Gefühl von Unsicherheit. Deshalb ist es wichtig, dass das neue Gesetz endlich in Kraft tritt, damit die Mitarbeiter hinsichtlich des Einsatzes der Mittel Sicherheit bekommen.

Luxemburger Wort: Der Mitarbeiterstab des Dienstes wurde aufgestockt. Reicht der aktuelle Personalbestand aus?

Doris Woltz: Wir haben einige neue Mitarbeiter verpflichten können, doch wir brauchen noch mehr. Wir brauchen auf allen Ebenen zusätzliche Mitarbeiter, vom Datenschutz über die Archivierung. Wir brauchen Analysten, Techniker, Ingenieure, Kriminologen, Sprachenexperten usw. Die Aufgabengebiete sind enorm vielfältig. Ich bin froh, dass die Obergrenze aus dem Gesetz gestrichen wurde. Doch die Anwerbung von Spezialisten gestaltet sich äußerst schwierig.

Luxemburger Wort: Und wie sieht es mit der Technik aus?

Doris Woltz: Es ist zwar schon sehr viel passiert, doch es besteht noch Nachholbedarf. Wir sind nicht so aufgestellt, wie wir es sein müssten. Wir haben noch nicht die Geschwindigkeit erreicht, die ich mir wünsche.

Luxemburger Wort: Eine weitere Baustelle ist die Archivierung, sind Sie bei dem historischen Geheimdienstarchiv schon einen Schritt weitergekommen?

Doris Woltz: Im Juli hat die Abgeordnetenkammer den Gesetzentwurf zum historischen Geheimdienstarchiv mehrheitlich gestimmt. Das Gesetz tritt bald in Kraft. Hier wird vor allem das Auswahlverfahren, was denn nun historisch ist und was nicht, was geheim bleiben muss und was nicht, eine Herausforderung sein. Es stellt sich zudem erneut die Personalfrage, weil der SRE wahrscheinlich wenigstens einen Mitarbeiter für diese Arbeit freistellen muss. Die andere große Baustelle betrifft die interne Archivierung der aktuellen Dokumente. Hier warten wir noch auf die Ausführungsbestimmungen von Artikel 17 des Datenschutzgesetzes. Bis es soweit ist, arbeiten wir mit den Mitteln, die uns derzeit zur Verfügung stehen. Es ist nicht einfach, weil die Archivierung von Geheimdienstdokumenten anderen Gesetzen gehorcht, wie ich es beispielsweise im Justizwesen gewohnt war. Die Finalität ist eine andere. Es braucht aber auch die richtige Software.

Luxemburger Wort: Im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz wurde viel Kritik am Staatstrojaner geübt. Ist der Trojaner nun Teufelszeug oder ein für den Dienst unverzichtbares Werkzeug?

Doris Woltz: Der Trojaner wird in der Tat oft verteufelt, viele Menschen wissen aber nicht, um was es sich genau handelt. Zum einen geht es um die Kommunikation. Der Trojaner stellt in gewisser Weise eine neue technische Variante, bzw. die Weiterführung der Abhörverfahren aus den 80er-Jahren dar. Heute nutzt niemand mehr ein Telefon mit Wahlscheibe, deshalb brauchen auch wir andere Methoden. Mit dem Trojaner können wir herausfinden, mit wem die verdächtige Person kommuniziert. Auf der anderen Seite erlaubt er uns, in ein System einzudringen, um in Erfahrung zu bringen, welche Dateien die Person gespeichert hat und und welche Portale sie nutzt. Aus all diesen Daten können wir dann auf eine mögliche Gefahrenquelle schließen. Ich will aber noch einmal betonen, dass der Trojaner erst dann zur Anwendung kommt, wenn alle anderen Mittel vollständig ausgeschöpft sind. Das steht auch explizit so im Gesetz. Die Verhältnismäßigkeit und die Subsidiarität der einzusetzenden Mittel müssen auf alle Fälle gewahrt bleiben. Und es braucht natürlich vorab eine richterliche Zustimmung sowie eine Genehmigung der drei Minister, bevor wir auf den Trojaner zurückgreifen können. Letztendlich läuft alles auf die Frage hinaus, wie viel Freiheit bzw. wie viel Sicherheit wir wollen. Wir können uns die Welt nicht einfach schönreden. Das Attentat von Nice hat dies sehr gut verdeutlicht. Nice hat gezeigt, dass man mit sehr wenig Mitteln sehr viel Leid verursachen kann. Dies sollten wir im Hinterkopf behalten.

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