"Einem Geheimdienst wird immer mit Misstrauen begegnet"

Interview von Doris Woltz im Luxemburger Wort

Interview: Luxemburger Wort (Max Lemmer und Marc Schlammes)

Luxemburger Wort:  Zum ersten Mal steht eine Frau an der Spitze des Srel. Was hat Sie dazu bewogen, sich für diesen Posten zu bewerben? 

Doris Woltz: In Europa bin ich nicht die einzige Frau, die einen Geheimdienst leitet. 
Was mich persönlich dazu bewogen hat, war einfach die Tatsache, dass ich mich einer neuen beruflichen Herausforderung stellen wollte. 

Luxemburger Wort: Premierminister Bettel hatte sich bereits auf Sie festgelegt, bevor der Posten offiziell ausgeschrieben wurde. Hatte dieses Missgeschick für Sie persönliche Auswirkungen? 

Doris Woltz: Der Premierminister hat dazu in seiner Antwort auf eine parlamentarische Frage Stellung bezogen. Nichtsdestotrotz ist es gut, dass der Posten ausgeschrieben wurde. Falls eine weitere Kandidatur eingereicht worden wäre, hätte die Entscheidung überdacht werden müssen. Für mich persönlich hatte das Ganze keine negativen Auswirkungen. 

Luxemburger Wort: Hatten Sie selbst um eine Bedenkzeit gebeten? 

Doris Woltz: Ja, die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Seit dem 1. Januar gehöre ich nicht mehr der Magistratur an. Dem Gesetz über leitende Positionen ("fonctions dirigeantes") im Staatsdienst zufolge gibt es drei Posten, die widerrufbar ("revocable ad nutum") sind, falls ihre Amtsinhaber nicht mit der Politik der Regierung übereinstimmen: Der Armeechef, der Polizeidirektor und der Geheimdienstchef. Als Mitglied der Magistratur ist dies eine neue Situation, auch wenn das Gesetz jetzt vorsieht, dass ein ehemaliger Richter wieder in die Magistratur zurückkehren darf. Da es sich in meinem Fall nicht um eine Abordnung, sondern um einen Wechsel der Verwaltung handelt, gelten die Garantien der Unabhängigkeit und der Inamovibilität für den Richter jetzt nicht mehr für mich. Zudem bin ich mir bewusst, dass die Erwartungen sehr hoch sind, und mir gegenüber die Messlatte dementsprechend höher gelegt wurde. 

Luxemburger Wort: Welche ersten Eindrücke konnten Sie bisher beim Srel sammeln? 

Doris Woltz: Meine ersten Eindrücke sind ganz positiv. Ich habe sehr viele junge und engagierte Menschen kennen gelernt, die seit Jahren für den Geheimdienst arbeiten und von denen ich überzeugt bin, dass sie einen Mehrwert für den Srel darstellen. Seit 2010 gab es zahlreiche Veränderungen. Mein Vorgänger Patrick Heck hinterlässt einen strukturierten Nachrichtendienst, der auf Kompetenzen aufgebaut ist, die im Einklang mit dem Gesetz stehen. Für mich war das eine wichtige Voraussetzung, um die Direktion zu übernehmen. 

Luxemburger Wort: Der Geheimdienst ist für Sie kein komplettes Neuland. In der Bommeleeër-Affäre hatten Sie als Untersuchungsrichterin eine Reihe von Agenten verhört. Stellt es für Sie kein Problem dar, dass mit Ihnen nun eine Ex-Magistratin den Geheimdienst leitet? 

Doris Woltz: Ich glaube, man muss eine Trennlinie zwischen der Bommeleeër und dem Posten ziehen, den ich heute bekleide. Die Srel-Agenten, die ich als damalige Untersuchungsrichterin angehört habe, waren entweder schon im Ruhestand oder kurz davor. Sie wurden zu Fakten befragt, die mehr als 30 Jahre zurückliegen. Prinzipiell soll es einem Untersuchungsrichter egal sein, in welcher Eigenschaft eine Person angehört wird. In der Bornrneleeër habe ich zahlreiche Vertreter des Staatsapparats als Zeugen vernommen, bis hin zu einem ehemaligen Staatsminister. 

Luxemburger Wort: Haben Sie die Hoffnung in irgendeiner Schublade beim Srel Indizien zu finden, die Sie auf die Spur der Bornmeleeër führen könnten? 

Doris Woltz: Abgesehen davon, dass ich die Frage unpassend finde, muss ich sagen, dass ich die Leitung des Srel übernommen habe, um in der Gegenwart und in der Zukunft zu arbeiten - nicht in der Vergangenheit. Als Untersuchungsrichterin habe ich 2010 die letzte Amtshandlung in der Bommeleeër Affäre durchgeführt. 
Mit welcher Legitimation sollte ich mir heute das Recht herausnehmen, Recherchen einzuleiten, es sei denn, die Justiz würde mich darum bitten? 

Luxemburger Wort: Das Gutachten des Staatsrats zur geplanten Geheimdienstreform fiel mit acht formellen Einwänden streng aus. Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf? 

Doris Woltz: Der eingereichte Gesetzentwurf ist eine sehr gute Initiative, die nicht ausschließlich als Schlussfolgerung des Untersuchungsausschusses zu verstehen ist, sondern sie entspricht auch den gestellten Anforderungen des Srel. Ob die Reform jedoch all den Erwartungen Rechnung tragen wird, kann ich derzeit noch nicht beurteilen. Die formellen Einwände des Staatsrats wurden bereits zum großen Teil durch Änderungsanträge der Regierung berücksichtigt. Ich werde das Gesetz jedenfalls so umsetzen, wie es in Zukunft vom Parlament gestimmt werden wird. 

Luxemburger Wort: Künftig soll ein "comité interministériel", das sich aus drei Ministern zusammensetzt, als oberstes Überwachungsorgan fungieren. Befürchten Sie nicht, dass zu viele Köche den Brei verderben? 

Doris Woltz: Die Idee, ein derartiges Komitee zu schaffen, ist eigentlich eine gute Sache, da es einer doppelten Mission folgt. Zum einen werden eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen genehmigt, zum anderen wird vorgegeben, in welche Richtung sich die Aktivitäten des Srel zu bewegen haben. Ich halte es für sinnvoll, die Prioritäten genauer zu definieren. Der Geheimdienst kann seine Arbeit dementsprechend ausrichten. Nach einer internen Koordination werden sich Staatsministerium, Ministerium für Innere Sicherheit und Justiz mit einer Stimme an den Srel wenden. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen wird. 

Luxemburger Wort: Wie wichtig ist die parlamentarische Kommission, die im Zuge der vorigen Srel-Reform eingeführt wurde? Wie viel kann der Geheimdienst den Abgeordneten preisgeben? 

Doris Woltz: Die parlamentarische Kontrolle, die gesetzlich klar geregelt ist, funktioniert nach meinen ersten Erkenntnissen gut. Die Mitglieder der zuständigen Kommission haben sich in die Materie eingearbeitet. Sie haben ein Recht auf Akteneinsicht, überprüfen die Einhaltung der Verfahren und erstellen dem Parlament regelmäßig Berichte. Die Kontrolle geht also sehr weit und macht Sinn. 
Ich finde es wichtig, dass die legislative Gewalt eine Kontrollinstanz darstellt. 

Luxemburger Wort: Der Srel hat unter der Geheimdienstaffäre gelitten. Wie wollen Sie das verlorene Vertrauen wiederherstellen? 

Einem Geheimdienst wird immer mit Misstrauen begegnet. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, da mache ich mir nichts vor. Es ist richtig, dass der Srel durch die Geheimdienstaffäre einen starken Image-schaden erlitten hat. Ursprung der Unregelmäßigkeiten, die damals enthüllt wurden, waren ein paar ehemalige Mitarbeiter. Dies führte jedoch dazu, dass die gesamte Belegschaft diskreditiert wurde. Mein Vorgänger hat allerdings nach innen und nach außen enorm viel Arbeit geleistet, um das Vertrauen wiederherzustellen. Es wurden Prozeduren, Dienstanweisungen und interne Kontrollmechanismen eingeführt, die es zuvor nicht gab. Auch bemühte sich Patrick Heck, die Beziehungen mit der Regierung, der parlamentarischen Kontrollkommission sowie den Justizbehörden und der Polizei neu aufzubauen. 

Luxemburger Wort: Bei einem Wechsel in der Chefetage gibt es bei den Mitarbeitern meistens eine gewisse Erwartungshaltung. Wie hat sich das bis jetzt bemerkbar gemacht? 

Doris Woltz: Übernimmt ein neuer Chef eine Verwaltung ist es normal, dass Mitarbeiter, die neue Ideen vorbringen wollen, an ihn herantreten. Natürlich hat das Personal Erwartungen und wendet sich an mich. Ich muss mir jedoch zunächst ein Gesamtbild des Srel verschaffen, ehe weit reichende Entscheidungen getroffen werden können. 

Luxemburger Wort: Wie lange wird es dauern, bis zu diesem Gesamtüberblick? 

Doris Woltz: (lacht) Wenn es nach mir ginge, müsste dies bereits jetzt der Fall sein. Da bin ich vielleicht etwas zu ungeduldig. Ich wäre froh, wenn ich mich in den kommenden Monaten mit allem und allen vertraut machen könnte. 

Luxemburger Wort: Nach welchen Prinzipien werden Sie ihre Arbeit ausrichten? 

Doris Woltz: Mir ist viel daran gelegen, meine Erfahrung in der Justiz einzubringen. Dies entspricht auch dem erwünschten Profil. Inwiefern interne Änderungen bezüglich der Srel-Struktur vorgenommen werden, wird sich zeigen. 

Luxemburger Wort: Die alten Srel-Archive sollen historisch aufgearbeitet werden. Wie soll das vonstatten gehen? 

Doris Woltz: Der entsprechende Gesetzentwurf wurde im August im Parlament hinterlegt. Das Gutachten des Staatsrats liegt noch nicht vor. Zum jetzigen Zeitpunkt will ich nicht vorgreifen, da ich nicht weiß, was später in diesem Zusammenhang umgesetzt wird. Das Gesetzprojekt beruht auf den Schlussfolgerungen des Untersuchungsausschusses. Damals hieß es, die Dokumente seien von unbestreitbarem historischen Interesse und dürften nicht zerstört werden. Wie sich das Expertenteam, das mit der Archivierung beauftragt werden soll, zusammensetzen wird, und wie es vorgehen soll, bleibt abzuwarten. 

Luxemburger Wort: Wie unterscheiden sich die heutigen Srel-Missionen von denen aus vergangenen Zeiten? 

Doris Woltz: Der Srel ging aus dem Kalten Krieg hervor. Luxemburg hatte damals gegenüber der Nato Verpflichtungen, die auch heute noch bestehen. Der Aufgabenbereich konzentrierte sich hauptsächlich auf Spionageabwehr. Heute hat die Bekämpfung des Terrorismus absolute Priorität. Wichtig sind aber auch die Abwehr von Cyberangriffen und der Schutz von wirtschaftlichem Potenzial. Inwieweit dies präventiv möglich ist, hängt von den Mitteln und der Verfügbarkeit der Personen ab. 

Luxemburger Wort: Auf internationaler Ebene soll der Austausch von Geheimdienstinformationen verstärkt werden. Wie soll das in der Praxis ablaufen? 

Doris Woltz: Derzeit befasst sich eine Srel-Abteilung mit dem Terrorismus. Dort werden alle Informationen zusammengetragen, analysiert und weitergereicht. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten ist gesetzlich verankert. Inwiefern wir diese Zusammenarbeit in Echt-zeit beschleunigen können, bleibt abzuwarten. Vorbeugung stößt irgendwann an ihre Grenzen. Die Kooperation mit den Justizbehörden, der Polizei und anderen Verwaltungen ist enorm wichtig, damit der Geheimdienst nicht zum Selbstzweck wird, sondern eine nützliche Instanz bleibt. 

Luxemburger Wort: Welche Rezepte wollen Sie anwenden, um bei der Zusammenarbeit mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft ein Kompetenzgerangel zu vermeiden? 

Doris Woltz: Reibungen können eigentlich ausgeschlossen werden, da unsere Hauptmission immer einen präventiven Charakter hat. Befasst sich die Justiz mit einem Dossier, haben wir es mit einer möglichen Straftat zu tun. Es muss allemal darauf geachtet werden, dass man die jeweiligen gesetzlichen Mandate klar abgrenzt. Dies wird durch das neue Gesetz vom 18. Dezember 2015 betreffend neue Straftatbestände im Terrorismusbereich und die Umsetzung der UN-Resolution 2178, nicht unbedingt einfacher, im Gegenteil. Die Frage, wann der Geheimdienst in einem Bereich angelangt ist, wo er den Fall an die Justizbehörden abgeben muss, kann nur durch eine intensive Zusammenarbeit, die gesetzlich vorgesehen ist, beantwortet werden. 

Luxemburger Wort: Verfügt der Srel über genügend Mitarbeiter, um beim Anti-Terror-Kampf zu bestehen? 

Doris Woltz: Falls man zusätzliches Personal rekrutiert, ist es wichtig über die nötigen Mittel zu verfügen, um die Mitarbeiter intern und auch extern anständig auszubilden. Nur so können sie die von ihnen erforderte Leistung bringen. Zahlenmäßig haben wir ein Problem. Momentan werden Mitarbeiter von einer Abteilung abgezweigt, um ein anderes Team zu verstärken. Angesichts der Flut von Informationen, die es zu bewältigen gilt, sollte eine personelle Aufstockung möglich sein. Derzeit arbeiten 60 Personen für den Srel, so wie es auch gesetzlich festgelegt ist. Das neue Gesetz, das eine Obergrenze von 75 Beschäftigten vorsieht, wird es hoffentlich ermöglichen, die einzelnen Abteilungen aufzustocken. 

Luxemburger Wort: Der nach einem Angriff auf Polizisten in Paris erschossene Tarek Belgacem hatte sich zuvor auch in Luxemburg aufgehalten. War diese Person dem Srel bekannt? 

Doris Woltz: Premierminister Xavier Bettel sowie Etienne Schneider und Mix Braz, die Minister für innere Sicherheit und Justiz, haben in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage bestätigt, dass die von Ihnen erwähnte Person im Oktober 2013 nicht unter Verdacht stand, mit dem Islamischen Staat zu sympathisieren. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. 

Luxemburger Wort: Gibt es in Luxemburg einen Zuwachs von extrem-islamistischen Aktivitäten? 

Doris Woltz: Die Gefahr ist konkreter geworden. In Luxemburg gilt zurzeit die Sicherheitsstufe 2. Die Gefahr ist nicht so weit von uns entfernt, als dass sie sich uns nicht irgendwann nähern könnte. Die Auswirkungen der Vernetzung, die von Terrororganisationen ausgeht, ist spürbar. Die Propaganda, die via Internet und soziale Medien verbreitet wird, führt dazu, dass junge Menschen weltweit sehr schnell erreicht werden und das Risiko einer Radikalisierung besteht. Das gilt auch für Luxemburg. 

Luxemburger Wort: Wie können Menschen über Bedrohungen informiert werden, ohne in eine Angstspirale zu geraten? 

Doris Woltz: Es ist wichtig, Über- und Unterreaktionen zu vermeiden. Innerhalb des Haut commissariat à la protection nationale wird die Alarmstufe abgewogen. Der Geheimdienst veröffentlicht keine Mitteilungen, die im Zusammenhang mit einer Bedrohung stehen. Dies ist Aufgabe der Regierung. 

Luxemburger Wort: Wie betrachten Sie das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit? 

Doris Woltz: Beide Werte sind eng miteinander verbunden: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit und umgekehrt. Für mich ist es wichtig, dass der Srel bei operativen Maßnahmen eine solide gesetzliche Grundlage hat, die die Sicherheit gewährleistet und die Freiheit beschützt. 

Luxemburger Wort: Ihr Vorgänger fühlte sich ausgelaugt. Eigenen Angaben zufolge hatte er nach fünf Jahren keine Energie mehr fortzufahren. Befürchten Sie nicht, ein ähnliches Schicksal zu erleiden? 

Doris Woltz: Patrick Heck gehörte dem Srel kurz an, als er bereits zum Direktor ernannt wurde. Dann musste er Dinge aufklären, die er nicht zu verantworten hatte, und war bestrebt, mit seinen Mitarbeitern alles neu zu strukturieren, damit der Geheimdienst wenigstens ansatzweise die Anerkennung bekommt, die ihm zusteht. Vor dem Hintergrund der nun anstehenden Reform war der Zeitpunkt vielleicht gut ausgewählt, Abschied vom Srel zu nehmen. Ein Rezept gegen ein mögliches Burn-out habe ich nicht. Bis jetzt habe ich mich immer dort engagiert, wo ich gerade tätig war. Ich hoffe, dass das auch hier der Fall sein wird. 

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